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27.04.2022 Leipziger Tierärztekongress

Verhaltenstherapie: Was tun, wenn Hund oder Katze aggressiv werden?

Der Hund, der plötzlich beißt. Die Katze, die Artgenossen oder Menschen angreift. Zeigen Haustiere problematisches Verhalten, kann dies organische Ursachen haben. Oft signalisiert das Tier zuvor Unwohlsein. Um die wahren Gründe der Aggression zu erkennen, gehört zur Anamnese auch das Gespräch mit den Tierbesitzern.

Im Symposium „ Verhaltenstherapie – aggressives Verhalten bei Hunden und Katzen “ am 7. Juli 2022 auf dem 11. Leipziger Tierärztekongress wird dem Problemverhalten der beliebten Haustiere auf den Grund gegangen.

Mehr Zeit für Anamnese

„Wichtig ist, der Anamnese mehr Zeit zu widmen und ausführlich mit den Tierbesitzern zu sprechen. In 20 bis 30 Prozent der Fälle liegen zum Beispiel einer Verhaltensänderung bei Hunden organische Ursachen wie Schmerzprobleme oder Schilddrüsenfunktionsstörungen zugrunde“, erklärt PD Dr. Franziska Kuhne. Die Fachtierärztin für Tierschutz und für Verhaltenskunde sowie Leiterin der AG für angewandte Verhaltenskunde und Tierverhaltenstherapie am Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen zeichnet verantwortlich für das „Verhaltenstherapie“-Programm des Kongresses. „Meine Lieblingsfrage ist deshalb: Was ist vor der Verhaltensänderung passiert? Kam sie plötzlich oder gab es schon länger Probleme? Oft jedoch werden mit den Tierbesitzern nur wenige Worte ausgetauscht oder sie kommen bereits mit einer Diagnose wie: ‚Mein Hund hat einen Hirntumor’ in die Praxis. Vorannahmen sollten aber immer kritisch hinterfragt werden“, so die Tierverhaltenstherapeutin, die in ihrem Vortrag die Aufmerksamkeit auf „Organische Ursachen für aggressives Verhalten von Hunden“ lenkt. „Der einfühlsame Umgang mit den Tierbesitzern ist die Herausforderung.“

„Einschläfern“ ist nicht die Lösung

Manche Tierbesitzer wollten ihren Hund beispielsweise sofort abgeben oder einschläfern lassen, nachdem er sich bösartig verhalten habe, berichtet Dr. Kuhne. „Sie sind so enttäuscht von ihrem ‚Kuscheltier’. Aber der Hund ist nicht automatisch dauerhaft gefährlich“, erklärt sie. „Ich bin dann häufig die letzte Rettung, um die Ursache herauszufinden und Hilfestellung zu geben. Wenn Hunde plötzlich aggressiv sind, fühlen sie sich nicht selten in die Enge getrieben – und haben manchmal ein halbes Jahr lang oder sogar über zwei Jahre immer wieder vorgewarnt: Mach das nicht mit mir! Ihr Knurren als Missfallens- bzw. Schmerzäußerung wurde aber nicht respektiert, sondern bestraft. Die Hundepersönlichkeit wurde nicht beachtet. Und dann beißt er irgendwann zu.“

Blick weiten: Hundeschule oder Verhaltenstherapie?

Vielfach seien die Besitzer vorher von Hundeschule zu Hundeschule gewandert, ohne dass sich eine Besserung eingestellt habe, so Dr. Kuhne. „Aber gerade bei angstbedingter oder schmerzinduzierter Aggression ist es der falsche Weg, dem Tier noch mehr Stress und Druck zu machen. Wird dem Besitzer beigebracht, auf jeden Fall Gehorsam zu erreichen, kann das in diesen Fällen nach hinten losgehen“, betont die Expertin. Solcherart „Verständigungsprobleme“ seien keine Erziehungsfrage des Tieres, sondern hingen mit dem Verhalten des Halters zusammen. „Deshalb möchte ich auf dem Leipziger Tierärztekongress dafür sensibilisieren, wann an eine Hundeschule verwiesen werden kann und wann eine verhaltenstherapeutische Intervention angebracht ist. Da möchte ich den Kollegen den Blick weiten. Genauso normal wie die Überweisung an den Chirurgen bei Knochenbruch sollte die Überweisung an eine verhaltenstherapeutische Praxis bei dieserart Problemen werden.“

Schmerzen nicht übersehen

Lasse sich ein Hund nicht gern anfassen oder auf den Behandlungstisch heben, könnten unerkannte Schmerzen an den Pfoten oder der Wirbelsäule ursächlich sein – genauso wie schlechte Erfahrungen, gibt Dr. Kuhne zu bedenken. „Auch hier hilft es, bei den Besitzern nachzufragen, und dies nicht einfach zu ignorieren nach dem Motto ‚Da muss er durch’. Wenn Schmerzen der Grund sind, ist eine Schmerzausschaltung vor der Behandlung das A und O. Ist der Schmerz weg und es stehen keine gravierenden schlechten Erfahrungen dahinter, verändert sich das Verhalten meist.“ Dr. Kuhne erzählt von Fällen, in denen Hundebesitzer mit einem „untrainierten“ Hund zwei Stunden spazieren gingen – und als das Tier immer wieder aufgefordert wurde, ins Auto zu springen, habe es schließlich gebissen. „Der Hund hatte Gelenkschmerzen, Muskelkater und konnte einfach nicht mehr.“ Deshalb möchte sie auf dem Leipziger Tierärztekongress einen Appell an ihre tierärztlichen Kollegen richten, der Krankengeschichte mehr Platz einzuräumen: „Damit man auch bei viel Erfahrung und alltäglicher Routine nichts übersieht. Gerade bei wiederholt schmerzbedingtem aggressiven Verhalten ist es schwierig, die zugrundeliegende organische Ursache zu erkennen.“

Weitere Vorträge zur Verhaltenstherapie bei Hunden und Katzen:

Symposium „ Verhaltenstherapie – aggressives Verhalten bei Hunden und Katzen “ am 7. Juli 2022 (9.45 Uhr bis 16.45 Uhr) unter Leitung von PD Dr. Franziska Kuhne. Die sieben Vorträge widmen sich den Themen „Aggressives Verhalten von Hunden – Ursachen und Gefahreneinschätzung“, „Hund-Hund-Aggression mit Fokus auf die Leinenaggression“, „Problemverhalten von Hunden Menschen gegenüber“, „Organische Ursachen für aggressives Verhalten von Hunden – Erkennen und Beheben“, „Aggressives Verhalten von Katzen gegenüber anderen Katzen und den Menschen“, „Prophylaxe und Therapie von aggressiven Verhalten bei Katzen“ sowie „Die kooperative Katze – Wunschdenken oder Realität?“

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