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Fünf Kriterien für das Wohlergehen junger Pferde
Weil Fünfkämpferin Annika Schleu ihr Pferd beim olympischen Wettkampf in Tokio 2021 mit der Gerte schlug, rückte das Thema Tierwohl im Pferdesport in den Fokus. Folge: Nach 2024 findet der Moderne Fünfkampf ohne Reiten statt. Was ist unter Tierschutzaspekten bei der Haltung und Nutzung von Pferden zu beachten?
Über wesentliche Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem Tierschutz junger Pferde informiert Dr. Esther Müller auf dem 11. Leipziger Tierärztekongress. Die Geschäftsführerin Wissenschaft des Deutschen Tierschutzbunds e. V. und Leiterin der Akademie für Tierschutz in Neubiberg bei München stellt in ihrem Vortrag „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens – warum die Haltung und Nutzung junger Pferde viele Tierschutzaspekte beinhaltet“ die Anwendbarkeit des Modells der „fünf Maßnahmen und Tierschutzziele“ vor (Symposium „Tiergerechte Jungpferdezucht und Ausbildung II“ am 8. Juli 2022 15:45 bis 18:00 Uhr).
Fünf-Punktemodell für das Tierwohl
Maßstab für das Erreichen von Tierwohl bei allen Tieren sei das „five provisions & welfare aims“-Modell von David Mellor aus dem Jahr 2016, erklärt Esther Müller. Der Professor des Animal Welfare Science and Bioethics Centre in Neuseeland habe mit seinem Modell „Fünf Maßnahmen und Tierschutzziele“ das Konzept der „Five Freedoms“ („fünf Freiheiten“) des Veterinärmediziners John Webster erweitert und präzisiert, welches bereits 1993 vom britischen Farm Animal Welfare Committee (FAWC) veröffentlicht wurde.
David Mellor beschreibt in seinem Modell fünf Maßnahmen:
- Positive mentale Erlebnisse
- Gute Umgebungsbedingungen
- Gute Gesundheit
- Gute Ernährung
- Artgemäßes Verhalten
„Die Vorteile dieses Ansatzes liegen unter anderem darin, dass er das Wohlergehen von Tieren in immer noch leicht verständlichen Begriffen ausdrückt, zusätzlich aber auch dazu anhält, negative Erlebnisse für das Tier zu minimieren und positive Erlebnisse zu fördern“, so Müller. „Beschrieben werden Kriterien und praktische Maßnahmen, die mehr als nur die Grundversorgung sicherstellen. Nicht bloß das Überleben des Tieres, sondern sein Wohlergehen und Gedeihen sind das Ziel. Es verdeutlicht zudem, dass Gesundheit alleine nicht zum Wohlbefinden ausreicht.“
Gemeinschaftliche Haltung mit Bewegung und richtiger Fütterung
Im Mittelpunkt der Aufzucht und Nutzung der Tiere müssten die Erfüllung der arteigenen Bedürfnisse der Fohlen und jungen Tiere stehen, wie Müller unterstreicht. Dazu gehöre unter anderem eine gemeinsame Haltung mit der fohlenführenden Stute und mit altersgleichen sowie adulten Artgenossen sowie freier Auslauf mit ausreichender Bewegung. „Das Fehlen von ‚Spielkameraden‘ gleichen Alters und Geschlechts kann soziale Defizite und damit Störungen im Sozial- und Sexualverhalten zur Folge haben“, erläutert Müller. „Ebenso kann Bewegung in zu hoher oder zu geringer Intensität bzw. Häufigkeit negative Einflüsse auf den Bewegungsapparat haben.“
Nicht zuletzt sei bei der Fütterung das richtige Maß zu finden: Eine extensive Fütterung verzögere die Entwicklung, eine intensive forciere das Wachstum – obwohl das Skelett dafür noch nicht ausgereift sei. Besonders wichtig für das mentale und physische Tierwohl: der richtige Zeitpunkt und die richtige Methode des Absetzens, also des Beendens des Säugens durch die Stute, sagt Müller.
Mit Verstärkung arbeiten
Für die Nutzung junger Pferde insbesondere als Reit- oder Fahrpferde dienten aus Sicht Müllers die fünf Maßnahmen und Tierschutzziele ebenfalls als guter Richtungsanzeiger. Denn Studien zeigten zum Beispiel die Zunahme von Magengeschwüren sowohl nach Beginn des Trainings als auch bei steigender Belastung. Die Art des Trainings trage letztlich ganz entscheidend zur Tiergerechtheit und damit zum Tierwohl bei. „Lerntheorien richtig anzuwenden, die individuelle Lernfähigkeit und Motivation des jungen Pferdes richtig einzuschätzen und primär mit Gewöhnung, Konditionierung und positiver Verstärkung zu arbeiten – das sind Grundlagen für eine faire und damit tiergerechte Ausbildung.“
Generell gelte das Tierschutzgesetz §3 Absatz 1, wie Müller zu bedenken gibt: „Es ist verboten einem Tier – außer in Notfällen – Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen.“