News

News

13.09.2023 Leipziger Tierärztekongress

Sensoren für effiziente Milchproduktion

Um die Effizienz in der Milchproduktion zu steigern, setzen Fachexperten wie PD Dr. Michael Iwersen und Prof. Dr. Marc Drillich auf sensorbasiertes Gesundheitsmonitoring für Rinderbestände. Wie digitale Technologien und der Einsatz von Sensoren in der Milchviehhaltung Effizienz und Tierwohl steigern, beleuchtet der gemeinsame Vortrag „Sensor-gestütztes Gesundheitsmonitoring von Rinderbeständen – ein Traum oder doch eher ein Albtraum?“ auf dem 12. Leipziger Tierärztekongress.

„Die Zahl der Milchviehbestände nimmt ab, zugleich steigt der Viehbesatz der in der Praxis verbleibenden Betriebe. Dies beobachten wir weltweit. Die Produktionsbedingungen sind darüber hinaus durch stärker variierende Erzeugerpreise und geringere Gewinnmargen gekennzeichnet. Dies erfordert eine effiziente Milchproduktion“, beschreibt PD Dr. Michael Iwersen von der Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna), Universitätsklinik für Wiederkäuer, Abteilung Bestandsbetreuung, die gegenwärtigen Trends in der Milchviehhaltung. Gemeinsam mit Prof. Dr. Marc Drillich von der Freien Universität Berlin, Fachbereich Veterinärmedizin, Reproduktionsmedizin und Eutergesundheit, erarbeitet er einen Vortrag zum sensor-gestützten Gesundheitsmonitoring von Rinderbeständen im Rahmen der wachsenden Automatisierung landwirtschaftlicher Betriebe und des sogenannten „Precision Dairy Farmings“.

Automatisierung im „Kleinen und Feinen“

Die Arbeitserledigungskosten erlebten im Vergleich zu den Kapitalkosten einen überproportionalen Anstieg. Dies führe – neben anderen Faktoren – zu einer wachsenden Automatisierung landwirtschaftlicher Produktionsabläufe. Das sei auch in der Milchviehhaltung zu beobachten, berichtet Dr. Iwersen. Damit verbunden sei aber nicht nur der Einsatz von beispielsweise Traktoren, Ernte- und Melkmaschinen: „Vielmehr erleben wir in den letzten Jahren eine Automatisierung der Landwirtschaft, die sich im ‚Kleinen und Feinen‘ abspielt.“ Für die Milchviehhaltung könne dies unter dem Begriff „Precision Dairy Farming“ zusammengefasst werden, erklärt Dr. Iwersen.

„Precision Dairy Farming”: Digitale Technologien & Co.

„Precision Dairy Farming“ bezeichne die Anwendung von Sensoren und digitalen Technologien, mit deren Hilfe sich physiologische Vorgänge, Verhaltensweisen oder Produktionsdaten tierindividuell erfassen ließen, wie Dr. Iwersen erläutert: „Die Erfassung dieser Parameter verfolgt nicht nur das Ziel, tierindividuelle Veränderungen zu registrieren. Damit sollen ebenfalls das Herden- und Betriebsmanagement und letztlich die betriebliche Effizienz gesteigert werden. Das frühzeitige Erkennen von Risikofaktoren soll zudem Erkrankungen der Tiere weitestgehend vermeiden und deren Wohlbefinden verbessern.“ Aktuelle Entwicklungen setzen laut Dr. Iwersen auf die als „Computer Vision“ bezeichnete automatisierte Bilderkennung sowie -auswertung, welche sich zum Beispiel zum Erkennen von Lahmheiten, zur Beurteilung der Körperkondition und zur Überwachung der Futteraufnahme anbiete. Weitere Anwendungsbereiche seien die Lokalisierung von Tieren („Animal Tracking“) sowie das automatisierte Erkennen von Verhaltensweisen, um Rückschlüsse auf tierindividuelle Zeitbudgets und das Sozialverhalten zu ziehen. „Grenzen liegen hier zum Teil in der technischen Realisierbarkeit und den schwierigen Einsatzbedingungen in der Praxis – wie Stallhöhe, Staub, Feuchtigkeit – die zurzeit oft keine ausreichend genaue Vorhersage ermöglichen.“

Studienergebnisse zum Nutzen des Monitorings

Der Vortrag in Leipzig rückt das „Precision Dairy Farming“ in den Mittelpunkt, liefert einen Überblick der gegenwärtig in der Milchviehhaltung verwendete Sensorsysteme und diskutiert Möglichkeiten und Grenzen des sensor-basierten Monitorings der Tiergesundheit und des Wohlbefindens von Rinderbeständen. „Im Rahmen des Vortrags werden außerdem die Ergebnisse einer Studie zum ‚Sensor-basierten Tiergesundheitsmonitoring von Milchkühen in der Frühlaktation‘ präsentiert, die von unserer Arbeitsgruppe in einem norddeutschen Milchviehbetrieb unter praktischen Bedingungen durchgeführt wurde“, kündigt Dr. Iwersen an. „Hierbei wird unter anderem auf Fehlalarme, Sensitivität und Spezifität sowie auf den Nutzen dieses Monitorings eingegangen.“ Aktuell herrsche eine große Dynamik auf dem Feld der „Precision Dairy Farming“-Angebote. „Dies zeigt sich in der Anzahl wissenschaftlicher Publikationen mit Bezug zur Tiergesundheit, die in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben.“ So seien in einer Umfrage unter landwirtschaftlichen Betrieben in den USA die Bereiche Mastitis- und Brunsterkennung, Erfassung der Milchmenge und Tieraktivität, Temperatur, Futteraufnahme, Lahmheiten und Wiederkauaktivität als nützliche Anwendungsgebiete für Sensorsysteme genannt worden.

Digitales Monitoring kein Ersatz, sondern Ergänzung

Dr. Iwersen und Prof. Drillich zeigen sich davon überzeugt, „dass ein digitales Monitoring einer Herde sehr gute Ansatzpunkte bietet, die tierärztliche Bestandsbetreuung auf ein höheres Niveau zu heben und gleichzeitig die Einzeltierbetreuung wieder mehr in den Fokus zu rücken und zu optimieren.“ Nicht zuletzt sei für die Interpretation der gesammelten und aufbereiteten Daten der tierärztliche Sachverstand weiterhin essenziell. Digitale, sensor-basierte, von Algorithmen gestützte und mit Künstlicher Intelligenz versehene technische Systeme seien noch weit davon entfernt, Tierärztinnen und Tierärzte sowie Landwirtinnen und Landwirte zu ersetzen. „Doch sie sind Werkzeuge, die wir kennen und nutzen sollten, deren Stärken und Schwächen uns bewusst sein müssen“, unterstreicht Dr. Iwersen. „Neue Informationsquellen innerhalb eines milcherzeugenden Betriebes sollten als zusätzliche diagnostische Möglichkeit auf Einzeltier- und Herdenebene angesehen werden.“

Evaluation nötig

Um die Rohdaten entsprechend aufzubereiten, gelte es spezifische mathematische Methoden und Modelle zu entwickeln. Vor der Einführung in die Praxis sei eine unabhängige Evaluierung der Technologien notwendig, die auch eine ökonomische Bewertung beinhalte. „Die Technisierung in der Landwirtschaft ist eine Entwicklung, die seit Jahrzehnten den allgemeinen technischen Fortschritt widerspiegelt. Der Einsatz von Sensortechnologien im Tier(gesundheits)monitoring ist daher weder Traum noch Albtraum, sondern eine konsequente Weiterführung bestehender Prozesse, die eine Anpassung an sozio-ökonomische Rahmenbedingungen beinhaltet. Daher sollte eine bodenständige und ergebnisoffene Bewertung dieser Technologien erfolgen. Eine aktive Diskussionsbeteiligung der Tierärzteschaft ist wünschenswert“, so Dr. Iwersen. Der Leipziger Tierärztekongress biete eine ideale Möglichkeit zum fachlichen Austausch mit internationalen Kolleginnen und Kollegen sowie Industriepartnern. „Neben dem hochkarätigen wissenschaftlichen Programm freue ich mich aber besonders darauf, viele bekannte Gesichter wiederzusehen.“

Zurück zu allen Meldungen